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“Ein Mensch, ein Ziel, ein Fahrrad”

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Foto: www.wearegoingawol.tumblr.com

Karlsruhe (var/pom). Recep Yesil fährt im August von London nach Istanbul – mit dem Fahrrad. Im Rahmen des “Transcontinentalrace” wird der leidenschaftliche Radfahrer mehr als 3000 Kilometer fahren und dabei elf Länder passieren. Boulevard Baden sprach mit dem Abenteurer, der acht Jahre als Fahrradkurier in Karlsruhe gearbeitet hat, über die Tour und seine Vorbereitung.

 

Was bedeutet Fahrradfahren generell für Sie?
Yesil: Freiheit, Selbstverwirklichung, Spaß und das Gefühl besonders zu sein in Einem. Der sportliche Aspekt ist lediglich eine Begleiterscheinung.

Wie haben Sie sich auf dieses Abenteuer vorbereitet und wie lange?
Yesil: Ich bin Teil des Entwicklungsteams der Firma Specialized, eine Firma mit dem Selbstanspruch die weltweit innovativste Fahrradmarke zu sein. Es ist Teil der Firmenphilosophie, dass man nur dann die besten Fahrräder entwickeln kann, wenn man selbst Radfahrer ist. So propagieren wir ganz klar: “From riders, for riders”. Wir stellen dieses Jahr das “AWOL” vor – ein reinrassiges Adventurebike, welches ich maßgeblich mitgestaltet habe. So ist es selbstverständlich, dass ich diese Entwicklung auch persönlich auf die Probe stelle, denn genau so interpretiere ich meinen Job und die Firmenphilosophie. Die Hauptvorbereitung bezog sich somit auf die “materiellen” Dinge: das Fahrrad selber, Equipment, Routenplanung, Timing. Schließlich ist das ein “Rennen”, man hat keinerlei Support, ist ganz auf sich alleine gestellt, hat einen vorgegebenen Zeitrahmen vom 14 Tagen und ich habe so etwas noch nie gemacht.

Bezogen auf meine physische Verfassung ist die ehrliche Antwort: ich habe mich gar nicht vorbereitet.
Ich habe weder meine Ernährung umgestellt, noch habe ich gezielt trainiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass so eine Distanz zum größten Teil eine Frage der richtigen Motivation und des richtigen “mindset” ist – und die stimmt bei mir. Mal abgesehen davon, dass ich mein eigenes “Baby” auf den härtesten Prüfstand stelle, träume ich seit nun mehr fast 20 Jahren davon, ein mal nach Istanbul zu radeln, wo auch immer ich gerade wohnen mag. Die Tatsache dass dieses nun im Kontext eines Rennen passiert ist so gesehen fast schon ein Kompromiss den ich annehme – aber ein positiver, weil er mich nämlich auch fordert. Ich bin kein Radrennfahrer und bin auch nicht kein ambitionierter Sportler. Aber ich bin ein aktiver Mensch in allen Belangen, bin offen, probiere gerne Neues aus und suche, nein “brauche” die Herausforderung. Ich glaube, wäre ich nicht in der Lage so ein Vorgehen zu meistern, wäre mein Gehirn gar nicht erst auf die Idee gekommen daran teilzunehmen. Dennoch: Motivation alleine kann auch trügerisch sein und zur Selbstüberschätzung beitragen. Ich habe acht Jahre in Karlsruhe als Fahrradkurier gearbeitet, bin früher viel Mountainbike gefahren und habe einen täglichen Weg von 30 Kilometer zur Arbeit – ein Weg. Ich habe die letzten Wochen ein paar längere Touren gemacht, um zu sehen ob ich das auch wirklich “kann”, immerhin reden wir von über 3000 Kilometern mit über 30000 Höhenmetern in 14 Tagen.

Allein rechnerisch ergibt das schon einen Schnitt von etwa 220 Kilometern am Tag, und mein Rad inklusive Ausrüstung bringt über 20 Kilogramm auf die Waage. Das muss man schon mal auf die Probe stellen. Die letzte dieser Touren hatte ich vergangenen Freitag, von Zürich nach Karlsruhe, auf dem Weg zu Europas beliebtestem Bikepolo Turnier “GreifCamp”. Ich weiß jetzt, dass ich 300 Kilometer bei 36°C im Schatten in 15 Stunden mit circa 14 Liter Wasser fahren kann.

Worüber machen Sie sich am meisten Gedanken, beziehungsweise was sind die größten Bedenken?
Yesil: Über Tage die zu kurz sind, über Wasserknappheit auf langen Strecken fernab jeglicher Zivilisation, über kyrillische Straßenschilder auf dem Balkan, über wild in Rudeln streunende Hunde in Bulgarien.

Woher kennen Erik Nohlin und Sie sich?
Yesil: Wir sind Arbeitskollegen bei Specialized und mittlerweile auch gute Freunde. Wir haben zusammen am AWOL gearbeitet und stemmen auch unsere persönliches Adventure “wearegoingawol.tumblr.com” gemeinsam aus dem Boden. Wir sind sehr unterschiedliche Charaktere, und so sind auch unsere AWOLs, unsere Fahrgewohnheiten, unsere Erfahrungen. Erik ist zum Beispiel ein sehr erfahrener Langstreckenfahrer.

Was sagt Ihre Familie zu diesem Abenteuer?
Yesil: Meine Eltern haben mittlerweile gelernt, mich nicht mehr für “verrückt” zu erklären. Sie Sorgen sich einfach nur und wollen sicher sein, dass es mir auf der Tour auch gut geht und ich diese heil überstehe. Ich sehe aber spätestens dann den Stolz in ihren Augen, wenn Sie in ihrem Bekanntenkreis davon erzählen. Mein Bruder wiederum ist einer meiner größten Supporter – er ist es der mir den wesentlichen Mut zuspricht und mich anspornt. Freunde die mich gut genug kennen freuen sich für mich und verstehen meine emotional begründete Motivation, sich auf seinem eigenen “Werk” einen Lebenstraum erfüllen zu wollen. Leute die mich weniger gut kennen wünschen mir zwar Glück, aber sie zweifeln. Über die wiederum bin es ich der schmunzelt – sie haben es nämlich nicht verstanden und werden es wohl auch nie ..

Wie kamen Sie auf die Idee?
Yesil: Es war Erik’s Idee: Als die Entwicklung des AWOL langsam zu Ende ging, kam die Frage des richtigen Produktlaunchs auf. Erik hat schon mehrere Langstreckentouren gefahren und ist in dieser Szene bekannt wie ein bunter Hund. So wusste er schon lange vor Anderen vom “Transcontinentalrace”, Europas längstem, härtestem Ein-Etappenrennen, bei dem die Fahrer gänzlich ohne Unterstützung von Außen auskommen müssen – inklusive Orientierung, Übernachtung und Verpflegung. Dieses Rennen findet dieses Jahr zum ersten Mal statt, und uns beiden war sofort klar, dass wir mit unseren persönlichen AWOLs daran teilnehmen müssen. Schnell wurde aus dieser Idee ein Projekt, wofür wir auch unsere Vorgesetzten und das Marketing bei Specialized begeistern konnten – authentischer kann man ein Produkt nicht launchen (und einfacher kann ich mir meinen Traum nicht erfüllen). Wir haben daraufhin nebst der Tourplanung selber unseren Blog gestaltet und angefangen von unserem persönlichen Abenteuer rund um das AWOL und dem Transcontinentalrace zu erzählen. Das ganze Projekt hat sich so weit entwickelt, dass wir dieses Abenteuer in Form eines Films dokumentieren werden – ein Filmteam (e r t z u i ° film) wird uns von Anfang bis Ende begleiten und unsere Höhen, Tiefen, Ängste und Freuden festhalten, das können die verdammt gut.

Was machen Sie in den letzten Stunden vor der Abfahrt?
Yesil: Keine Ahnung, habe ich nicht darüber nachgedacht. So wie ich mich kenne werde ich wohl versuchen irgendwie den Kloß im Magen loszuwerden – was aber leider nur mit dem Startschuss gehen wird….

Was werden Sie während der Zeit am meisten vermissen?
Yesil: Nichts, aber auch gar nichts. AWOL steht für “Absent Without Official Leave”, ist ein militärischer Begriff und steht für nichts Anderes als unentschuldigtes Fehlen, also Fahnenflucht! Der Charakter dieses Fahrrads entspricht somit dem Charakter einer solchen Tour, nämlich dem Alltag zu entfliehen, sich zu befreien und sein “Dasein” auf das elementarste zu reduzieren: ein Mensch, ein Ziel, ein Fahrrad.

Wie viele Stunden denken Sie, werden Sie pro Tag auf dem Fahrrad verbringen?
Yesil: Erik und ich sind zwar als Team gemeldet, dennoch wird jeder für sich alleine fahren müssen, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens möchten die Veranstalter nicht, dass man sich durch teamweise Windschattenfahren einen Vorteil verschafft. Wir werden Transponder dabei haben, mit denen man die Teilnehmer live auf einer Landkarte verfolgen beziehungsweise auch “kontrollieren” kann. Zum Anderen muss bei solch einer Distanz über so einen Zeitraum jeder seinen eigenen individuellen Rhythmus finden und halten. Erik und ich möchten morgens immer zusammen losfahren und uns abends wieder zusammenfinden. Im Schnitt wird Erik etwa zehn bis 12 Stunden pro Tag pedallieren, während ich auf 12 bis 14 Stunden kommen werde, persönliche Pausen inbegriffen.

Sind Sie schon Mal eine vergleichbare Strecke gefahren?
Yesil: Nein, nicht ansatzweise.

Wie sieht die Strecke von London nach Istanbul aus- durch welche Länder werden Sie fahren?
Yesil: Die genaue Route kann ich nicht verraten, schließlich hat jeder Rennteilnehmer seine eigene Strategie dahinter und hütet diese auch. Aber wir werden insgesamt elf Länder passieren wovon Großbritannien das Erste und die Türkei das Letzte sein wird.

Wie lange planen Sie dieses Abenteuer schon?
Yesil: Weniger als ein halbes Jahr.


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